- Teil 1 -

Geschichten und Märchen
Charles Perrault
(1628 - 1703)

Charles Perrault gehört zu den Begründern der Märchenliteratur, die sich aus dem kulturellen Kampf zwischen der Antike und des damals modernen Zeitalters entwickelte. Geboren in Paris, gehörte seine Familie dem Stand der Bourgeoisie, des Bürgertums an. Sein Bruder Claude ging als Architekt des Louvre-Ostflügels ebenfalls in die französische Geschichte ein. Charles besuchte die besten Schulen und studierte anschließend Juristik, bevor er eine überaus akademische Karriere einschlug. Zunächst betreute er den Aufbau sowohl der Wissenschafts- als auch der Malerei-Akademie. Mit der Gründung der Akademie für Schriften und Literatur im Jahre 1663 wurde Perrault deren Vorsitzender auf Lebzeiten. Während dieser Zeit versuchte er erfolgreich, die festgefahrene Meinung, Dichtungen der klassischen Antike seien der modernen überlegen, zu brechen. Dabei lenkte er den Blick auch auf alte Folklore-Erzählungen des Volkes. Die Kernmoral solcher Geschichten verknüpfte er in seinen Werken mit spitzfindigen Andeutungen über die damals dominierende Aristokratie (Prinzessinnen, Schlösser, prunkvolles Leben etc.). Kritiker sehen heute auch eine versteckte Kritik am Adel jener Zeit. Zur Erinnerung : Ca. hundert Jahre später räumte die französische Bourgeoisie mit dem Adel weniger märchenhaft auf.

1697 publizierte Perrault Histories ou Contes du Temps passé (Moralische Fabeln und Geschichten der Vergangenheit). Dies machte ihn auch außerhalb seines Kreises sehr bekannt und markierte den Beginn des Märchens als eine neue Form der Literatur. Zu seinen berühmtesten Erzählungen gehören La Belle au bois dormant (Dornröschen), Cendrillon (Aschenputtel), Le Chat botté (Der gestiefelte Kater), La Princesse de Clèves (Die Prinzessin auf der Erbse) und Le petite Chaperon Rouge (Rotkäppchen). Mit 75 Jahren starb er hochgeachtet in Paris.


Kinder- und Hausmärchen
Jakob & Wilhelm Grimm
(1785 - 1863 und 1786 - 1859)

In einer Zeit, als es noch kein vereinigtes Deutschland gab, waren die Gebrüder Grimm bereits wegweisend für eine gesamtdeutsche Kultur. Als im 18. Jahrhundert das Bewusstsein germanischer Kultur und Identität zunahm, ließ ihr Werk, vor allem das 1812 veröffentlichte Buch Kinder- und Hausmärchen eine einzigartig germanische Folkloretradition wiederaufleben. Darin sammelten sie zum einen traditionelle, häusliche Geschichten des heimischen Volkes. Auf der anderen Seite übersetzten sie die französischen Märchen ihres Vorbildes Charles Perrault und versuchten dabei, die ausländischen und allzu anspruchsvollen Elemente auszuschließen. Zudem begründeten sie durch die Herausgabe eines gewaltigen deutschen Wörter- und eines maßgebenden deutschen Grammatikbuches eine neue Wissenschaft, die Germanistik.

Die Erzählungen der Gebrüder Grimm waren im Grunde keine Kindermärchen, sondern eher für die Unterhaltung Erwachsener bestimmt. Wegen der expliziten Gewalt und sexuelle Andeutungen in ihrem Hauptwerk genoss die erste Ausgabe des Buches keinen großen Erfolg. Deswegen veränderten sie die Märchen später erneut, indem sie die Gewalt abmilderten und nun mehr die phantastischen Elemente betonten.

Das Grimmsche Gesamtwerk Online
(externer Link)

 

Wie auch bei Perrault in Dornröschen und Aschenputtel, hielt sich Disney bei der Interpretation des bekanntesten Grimm-Märchens Schneewittchen zwar grob an die Vorlage, milderte allerdings seinerseits einige grausame Elemente ab oder ließ sie ganz weg. Dafür streckte er die Handlungen mit Themen und Figuren, die im Original nicht vorkommen. So sucht man die Mäuse in Disneys Aschenputtel in Cendrillon freilich ebenso vergeblich wie einen ausufernden Waschtag bei den Zwergen.

Für einige Cartoons wurden weitere Märchen aus der Sammlung von Perrault und des Geschwisterpaares mehr oder weniger originalgetreu verarbeitet, darunter Rotkäppchen, die Bremer Stadtmusikanten und der Gestiefelte Kater (Stummfilme von 1922), Hänsel & Gretel, das tapfere Schneiderlein, der Rattenfänger von Hameln und die Geschichte vom Hasen und dem Igel (in diesem Fall eine Schildkröte). Mit dem zukünftigen CGI-Projekt Rapunzel würde dann nach langer Zeit auch wieder ein Hauptfilm aus dem großen Schatz dieser drei Märchenlegenden stammen.

 

Pinocchios Abenteuer
Carlo Collodi
(1826 - 1890)

Collodi war nur ein Pseudonym, der Geburtsort seiner Mutter. Als Sohn eines Kochs und einer Dienstmagd kam Carlo Lorenzini in Florenz zur Welt. In frühen Jahren beteiligte er sich politisch in den Wirren der italienischen Unabhängigkeit. Mit 22 wurde er Journalist, gründete etwas später die satirische Zeitschrift "Il Lampione" und schrieb nebenbei Komödien und Zeitungskolumnen. Als Italien 1861 endlich zu einer vereinte Nation wuchs, wurde Carlo Theaterkritiker. Er fing an, die französischen Märchen des Franzosen Charles Perrault ins italienische zu übersetzen. Bald schon begann Collodi, eigene Kindergeschichten zu schreiben. Das erste Kapitel von Pinocchio erschien 1881 im "Giornale dei Bambini" und wurde ein sensationeller Erfolg; er blieb der größte des Florentiners. Zwei Jahre nach Collodis Tod wurde die Story ins Englische übersetzt.

Im Zeichentrickfilm von 1940 wurden die Kernpunkte der über mehrere Episoden laufenden Geschichte zusammengefasst. Allerdings verkommt der unsympathische, wiederborstige Flegel Pinocchio, dem im Original seine Füße abgebrannt werden und er selbst in Ketten gelegt und später erhängt wird, bei Disney zum naiven und knuddeligen Tunichtgut, dem man nicht böse sein darf. Diverse Spielfilme von 1911, 1972 und 2002 enthüllen da schon eher den widerlichen Charakter des hölzernen Bengels.


Dumbo
Helen Aberson Mayer & Harold Pearl
(1826 - 1890)

Vieles über die in Syracuse, New York geborene Autorin ist inzwischen wieder im Mahlstrom der Zeit verloren gegangen. Nach ihrem Studium an der Universität in Syracuse arbeitete Helen als Hörfunk- Sprecherin einer New Yorker Radiostation, bevor sie Bürogehilfin in Manhattan wurde. Nebenbei schrieb sie für ihren Sohn und einige Nachbarskinder lustige Tiergeschichten. Ein Freund, Harold Pearl, überarbeitete und illustrierte die Story über einen fliegenden Elefanten und schickte sie um 1939 an den Verlag Roll-A-Book. Kurz nach Veröffentlichung mit einer Auflage von gerade mal 1000 Exemplaren kaufte Walt Disney sofort die Rechte des Original-Scripts, das wie alle anderen Geschichten von Alberson als verschollen gilt. Es ist überliefert, dass Helen sogar einige Zeit bei Disney selbst gearbeitet haben soll, wenngleich nicht Offizielles darüber notiert wurde. Joe Grant, der die Dumbo Geschichte für den Zeichentrickfilm überarbeitete, erinnerte sich, sie des Öfteren im Studio gesehen zu haben. Fast wäre Dumbo 1941 auf dem Titelblatt des TIME Magazins erschienen und so hätte ein Interview mit Helen Aberson Mayer vielleicht etwas mehr Licht in die ganze Geschichte gebracht. Doch leider wurde dann der unerwartete Angriff auf Pearl Harbor als Titelstory vorgezogen, womit das Interview nie stattfand.


Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Walde
Felix Salten
(1869 - 1945)

Siegmund Salzmann erblickte in der ungarischen Stadt Pest (heutiges Budapest) das Licht der Welt. Seine Familie entstammt einer langen Reihe von Rabbinern. Sie siedelte kurz nach seiner Geburt nach Wien über. Wegen der Schulden seines Vaters musste Siegmund schon von Kindheit an für die Familie sorgen. Das führte dazu, dass er das Gymnasium früh verließ und bei einer Versicherung arbeitete. Nebenbei schrieb er unter dem Pseudonym Felix Salten Kurzgeschichten für mehrere Zeitungen. 1896 übernahm er die Stelle des Feuilletonchefs bei der "Wiener Allgemeinen Zeitung". Um die Jahrhundertwende war er bei allen wichtigsten Zeitungen in Österreich und Deutschland tätig.

Salten konnte sich bald immer intensiver mit der Schriftstellerei beschäftigen. Sein größtes Talent bewies er dabei in Tierfabeln, da ihm das Kunststück gelang, seine "Helden" zu fast menschlichen Wesen zu machen, ohne sie zu verniedlichen oder die Realität zu beschönigen. Das gilt natürlich insbesondere für sein Werk Bambi, das erstmals 1923 erschien. Angesichts des Erfolges dieser Geschichte schrieb der Autor einige Zeit später eine Fortsetzung seines Werkes. In Bambis Kinder - Eine Familie im Walde erhalten der Fürst des Waldes und seine Feline munteren Nachwuchs : die beiden Kitze Geno und Guri. Für Felix Salten wurde Bambi das erfolgreichste Buch seiner Karriere und es ist bis heute der erfolgreichste Tierroman des 20. Jahrhunderts.

Die Sache mit der Verniedlichung hat Walt Disney dagegen nicht abschütteln können. Gerade Bambi wird immer wieder gerne herangezogen, um dem Gesamtwerk Disneys den kitschigen Kinderstempel aufzudrücken. Der Betrachter mag sich jedoch selbst ein Urteil darüber erlauben. Leider ist nicht überliefert, was Salten selbst zum Film sagte, den er drei Jahre vor seinem Tod noch erleben durfte. Unbestritten ist es jedoch, dass Disneys Bambi zu einem weitverbreiteten Synonym für "Rehkitz" vor allem bei Kindern geworden ist.

Alles andere als Disney-fähig war dagegen ein älteres Werk Felix Saltens aus dem Jahre 1906, das in den Bereich frivole Schmuddelliteratur gehört. Darin wird die angebliche Lebensgeschichte der Wiener Dirne Josephine Mutzenbacher erzählt, die heute sowenig von Wien wegzudenken ist wie der Prater.



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Teil 2